Imago

Judith Engel

 

Lange war gerätselt worden, was während des Verpuppungsstadiums im Inneren des sogenannten »Larvenbeutels« geschehe. Erstaunlicher als der Befund, dass sich die Metamorphose durch eine fast vollkommene Verflüssigung des Phänotyps vollzieht, ist aber die Entdeckung, dass der Rückzug in den Kokon über ein Jahrhundert lang irrtümlicherweise mit einer Isolation des Insektenindividuums verwechselt worden war.»Im Gegenteil:«, heißt es in aktuellen Studien, »die Larve bildet ihr Imago in dauernder Rückkopplung mit den Informationen, die sie als Signalschleier über Vibrationen, Lichtschwankungen, und Temperaturwerte erreichen.« Ein derartig sensibles Kommunikationssystem führe zu unterschiedlichsten Ausbildungen der Faltersubjekte, die von ledrigen Schutzhäuten über Tarnmuster der Flügel bis hin zu Mutationen der Sinne reiche. Diese Phase dauere manchmal Jahre und man stelle sich das am leichtesten so vor, so eine Insektologin, als träume man die Wirklichkeit selbst als radikale Metamorphose.