Die Frage nach der Rezeption
Nicola HöllwarthEs mag keine eindeutige Antwort auf die ohnehin schon terminologisch kontroverse Frage ‚Was ist postmodern?‘ geben. Ann-Kathrin Müller versucht sie deshalb indirekt zu beantworten: Mit einer für sie unserer Zeit entsprechenden Form der Wissensproduktion – den künstlerischen Reenactments. In diesen Nachstellungen, beziehungsweise Neuinszenierungen von Vergangenem, sieht sie die Möglichkeit einer Verbindung von Kunst und Wissenschaft. Denn der Reiz dieser künstlerischen Forschung liegt für Ann-Kathrin Müller darin, eine Form zu finden, wie mit künstlerischen Arbeiten wissenschaftlich umgegangen werden kann, um daraufhin wieder eine ausschließlich künstlerische Form der Darlegung zu finden.
Ein solches Reenactment ist ihre Arbeit »Das Mansion.« Ann-Kathrin Müller geht darin von der These Beatriz Colominas aus, die besagt, dass moderne Architektur erst durch deren Zusammenhang mit den die Kultur des 20. Jahrhunderts definierenden Massenmedien modern wird. Colomina spricht von einer Architektur, die immer in Bewegung ist und nicht aus Wänden, sondern aus Bildern besteht.[1] Das Mansion untersucht diese These der medialen Konzeption moderner Architektur anhand Le Corbusiers Unité d’Habitation in Marseille. Der Architekt selbst spricht von der Architektur als Ereignis, deren Einheit sich bei einer Begehung vor unseren Augen entfaltet.[2] Die sieben Silbergelatineprints der Arbeit »Das Mansion« greifen diese behauptete Wirkung der Unité auf, indem sie die Bilder, die sich dem Besucher darbieten, fotografisch festhalten: Ein Halbschatten fällt in der Form eines Dreiecks auf ein gewundenes Betonelement der Dachterrasse. Hinter einer dunklen Fläche wird zur Hälfte der Blick auf einen Balkon frei. Was Le Corbusier mit der Neugeburt architektonischer Ereignisse gemeint und für »moderne Augen« konzipiert hat [3], rezipiert Ann-Kathrin Müller für unsere postmodernen Augen mit der Kamera. Zudem zeigt ein Buch diese sich beim Begehen der Unité präsentierenden Bilder in einer dem Begehen sehr ähnlichen Abfolge. Es empfindet nicht nur die Erfahrung der Architektur, sondern mit Textfragmenten und Lautmalerei gleichzeitig deren fotografische Rezeption nach. Dieses erneute Rezipieren der medialen Rezeption der Unité ist im Sinne eines künstlerischen Reenactments zu verstehen: als »Hinterfragung medialer Bilder, [die] sich der Realität der Bilder zu versichern [versucht], gleichzeitig jedoch auf die Medienbasiertheit des kollektiven Gedächtnisses [verweist].« [4]
So verhalten sich die Prints zum Buch durchaus wie These zu Antithese: Wie die Bestätigung eines westlich etablierten Verständnisses um sich der behaupteten Realität der Bilder zu versichern, zur Hinterfragung dieser Bilder durch eben diejenigen Mittel, die überhaupt zu diesem Verständnis geführt haben. Das Mansion bedient also eingeschriebene, erlernte Betrachtungsmechanismen, damit es diese anzweifeln kann. Und umgekehrt äußert die Arbeit ihre Zweifel an genau diesen Mechanismen, indem sie sie bedient.
ähnlich, aber wesentlich popkultureller, werden in »Ohne Titel (Vorspann)« solche Mechanismen heraufbeschworen. Hier sind es allerdings die Gefühle eines sorglosen Familienabends am Fernseher, ausgelöst von ‚Die Schwarzwaldklinik‘ und ‚Forsthaus Falkenau‘. Zwei in Sofahöhe angebrachte Fernseher zeigen im Loop die Intros dieser beliebten deutschen Fernsehserien. Allerdings ist durch die Zufallswiedergabe deren Titelmusik oft nicht kongruent zum Bild. Die Irritation wird nicht sofort bemerkt, vor allem nicht von Nichtkennern. So werden also zuerst die emotionalen Verbindungen bedient und geschürt, um sie gleichzeitig dadurch hinterfragbar zu machen. Kommt man nämlich der leichten Verfälschung dieser nachempfundenen Heimeligkeit auf die Schliche, fühlt der Anschauende sich regelrecht ertappt. Erst dann aber kann er seine vorherige Reaktion reflexiv betrachten.
Daher schaffen Ann-Kathrin Müllers Neuinszenierungen gerade durch die Form der Rezeption eine Metaebene. Diese ist grundlegend für das Infragestellen, weil man dadurch Aufgegriffenes abwiegt und vergleicht; und damit der Eindruck einer Parodie entsteht.[5] Somit bedient sie sich aber auch wieder einem beliebten postmodernen Mittel. Denn dieses Wiederaufnehmen, Gegenüberstellen und Nachempfinden hat mit einer Skepsis gegenüber dem schon Etablierten zu tun, das Jean- François Lyotard symptomatisch für das Postmoderne sieht. Denn Lyotard zufolge manifestiert sich letzteres, indem es das Streben der Moderne nach Einheit und Antwort aufgibt, um gerade auf die Unmöglichkeit einer Darstellung derselben hinzuweisen.[6] So äußert Ann-Kathrin Müller ihre Skepsis alleine durch eine postmoderne Art, mit überliefertem Wissen umzugehen. Die Frage ‚Was ist postmodern?‘ beantwortet sie also nicht indem sie darauf Antwort gibt, sondern indem ihre Herangehensweise selbst die Antwort ist.
Beatriz Colomina, Privacy and Publicity: Modern Architecture as Mass Media, Cambridge (Mass.) 1996, S. 6 und 14 ff.
Le Corbusier zitiert nach ebd., S. 5.
Ebd.
Inke Arns und Gabriele Horn (Hrsg.), History Will Repeat Itself – Strategien des Reenactment in der zeitgenössischen (Medien-) Kunst und Performance, Ausstellungskatalog, Hartware MedienKunstVerein, Dortmund und KW Institute for Contemporary Art, Berlin, Frankfurt am Main 2007, S. 62.
Vgl. Roland Barthes, Der Tod des Autors, in: Fotis Jannidis et. al. (Hrsg.): Texte zur Theorie der Autorschaft, Stuttgart 2000, S. 190 f.
Vgl. Jean-François Lyotard, Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?, in: Peter Engelmann (Hrsg.), Postmoderne und Dekonstruktion. Texte französischer Philosophen der Gegenwart, Stuttgart 1993, S. 33 – 48, S. 45 f.